Der Pflichtverteidiger – kein Anwalt für Arme
Kommt es zu einem strafrechtlichen Verfahren, kann sich ein Beklagter nur dann ausgewogen verteidigen, wenn er ebenso wie der Kläger über einen Anwalt verfügt. Aus diesem Fall gilt für viele Gerichtsverhandlungen im Strafrecht das Prinzip der „Notwendigen Verteidigung“ für die ein Anwalt zwingend gefordert ist. Sucht sich ein Angeklagter nicht selbst rechtlichen Beistand, sorgt der Gesetzgeber dafür, dass dieser ihm in Form eines Pflichtverteidigers gestellt wird.
Staatlich bestellt – der Anwalt als Pflichtverteidiger
Jeder Anwalt kann zum Pflichtverteidiger bestellt werden, dazu ist keine spezielle Ausbildung oder Spezialisierung notwendig. Grundvoraussetzung ist, dass das Gesetz einen Anwalt für eine Verhandlung fordert. Gesetzlich geregelt ist die Beiordnung in den § 140 – 145 der Strafprozessordnung (StPO).
Im § 141 ist insbesondere festgelegt, wann der Pflichtverteidiger bestellt werden muss. Dies ist wiederum abhängig vom verhandelten Fall. Die Beiordnung kann mit der Aufforderung zur Erklärung der Abgabe über die Anklageschrift erfolgen oder auch schon während des Vor- bzw. Ermittlungsverfahrens. In diesem Fall handelt die Staatsanwaltschaft im eigenen Ermessen. Ist der Angeklagte bereits in Untersuchungshaft, dann erfolgt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers unverzüglich durch den Ermittlungsrichter.
Notwendige Verteidigung – Grundvoraussetzung für den Pflichtverteidiger
Laut § 140 StPO ist ein Anwalt in folgenden Fällen notwendig:
- Die Hauptverhandlung findet in erster Instanz vor einem Ober- oder Landesgericht statt.
- Dem Beschuldigten wird ein Verbrechen nach § 12 StGB zur Last gelegt.
- Das Verfahren kann zu einem Berufsverbot führen.
- Gegen den Beschuldigten wird Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung vollstreckt.
- Der Beschuldigte war auf Grund richterlicher Anweisung für einen definierten Zeitraum in einer Anstalt.
- Ein Gutachten über den geistigen Zustand des Beschuldigten ist vorgesehen.
- Ein Sicherungsverfahren wird durchgeführt.
- Der bisherige Verteidiger ist aus dem Verfahren ausgeschlossen.
- Dem Verletzten ist ein Anwalt beigeordnet worden.
- Bei einer richterlichen Vernehmung ist die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten.
- Ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter beantragt die Bestellung.
Im § 140, Absatz 2 der Strafprozessordnung ist hinsichtlich der Bestellung eines Pflichtverteidigers für ein Gerichtsverfahren weiterhin folgendes festgelegt:
„In anderen Fällen bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Dem Antrag eines hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist zu entsprechen.“
Wer wählt den Pflichtverteidiger aus?
Laut häufig gängiger Meinung wählt das Gericht den Pflichtverteidiger aus. Grundsätzlich ist damit jedoch nur gemeint, dass ein Anwalt bei der Verhandlung mitwirken muss, also eine Pflicht zur Verteidigung besteht. Der Beklagte darf sich diesen jedoch in jedem Fall selbst erwählen, er ist nicht gezwungen, einen vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft ausgewählten Anwalt zu akzeptieren. Kommt es zum Verfahren und hat ein Beklagter noch keinen Anwalt, dann setzt das Gericht, wenn eine notwendige Verteidigung vorliegt, eine Frist innerhalb derer ein Verteidiger benannt werden muss. Erst dann, wenn sich innerhalb der Frist kein Anwalt für den Angeklagten meldet, übernimmt das Gericht die Auswahl und ordnet einen Verteidiger bei. Für den Beschuldigten ist dies ein Glücksspiel, denn welcher Anwalt die rechtlichen Belange vertritt, liegt dann nicht mehr in der eigenen Hand. Deshalb ist es meist ratsam, sich den Pflichtverteidiger eigenständig auszusuchen.
Wie findet man einen Pflichtverteidiger?
Jeder Anwalt, der im Bereich der Strafverteidigung tätig ist, kann auch als Pflichtverteidiger agieren. Bei der Auswahl macht es Sinn, hier auf eine entsprechende Erfahrung zu achten. Ein Anwalt, der sich im Bereich Strafrecht gut auskennt, kennt alle aktuellen Vorschriften und kann damit das Anliegen in der Regel kompetent und erfolgversprechend vertreten. Dies kann natürlich auch ein Anwalt aus einer Kanzlei sein, die sich auf mehrere Rechtsgebiete spezialisiert hat. Wird der Anwalt in Folge einer Aufforderung des Gerichts angesprochen, sollte die Frage der Pflichtverteidigung sofort geklärt werden. Ebenfalls wichtig ist es, die Dringlichkeit zu betonen, da der Aufforderung innerhalb einer 7-Tages-Frist nachgekommen werden muss.
Tipp: Wenn es bereits einen Wahlverteidiger gibt, kann dieser auf schriftlichen Antrag zum Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Grundvoraussetzung ist dabei, dass es sich um eine Notwendige Verteidigung nach § 140 StPO handelt.
Wer trägt die Kosten?
Wird der Pflichtverteidiger vom Gericht bestellt, dann wird der Anwalt vorerst vom Staat, also aus der Staatskasse, bezahlt. Das nimmt vielen Angeklagten erst einmal eine Last von den Schultern. Die Kosten für den Pflichtverteidiger im Strafrecht sind den Verfahrenskosten zugerechnet – und die trägt grundsätzlich der Verurteilte. Im Falle der Pflichtverteidigung bedeutet das:
- Wird der Mandant des Pflichtverteidigers verurteilt, trägt er die Kosten des Verfahrens, also auch des Pflichtverteidigers.
- Wird die Gegenpartei verurteilt, trägt sie die Verfahrenskosten.
- Wird der pflichtverteidigte Mandant freigesprochen, übernimmt die Staatskasse die Anwaltskosten.
Nicht zu verwechseln ist die Kostenübernahme des Pflichtverteidigers durch den Staat allerdings mit der Prozesskostenhilfe aus dem Zivilrecht. Diese ist dazu gedacht, einkommensschwache Personen bei der Durchführung von Gerichtsverfahren zu unterstützen. Die anfängliche Kostenübernahme des Pflichtverteidigers ist dagegen nicht vom Einkommen des Mandanten abhängig.
Pflichtverteidiger oder Wahlverteidiger?
Irrtümlicherweise bestehen hinsichtlich des Pflichtverteidigers einige Vorurteile, zum Beispiel, dass ein vom Gericht bestimmter Verteidiger weniger Einsatz zeigt als ein selbstgewählter Anwalt. Nach der Strafprozessordnung hat ein Pflichtverteidiger keinen anderen Status als ein Wahlverteidiger. Er kann ebenso wie dieser aktiv das Verfahren gestalten und tut dies in der Regel auch. Der Unterschied zwischen den beiden Anwaltsarten liegt im Honorar: Nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetzt (RVG) sind die Gebührensätze unterschiedliche angelegt, hinzukommt, dass ein Wahlverteidiger oft individuelle Gebührenvereinbarungen mit seinen Mandanten trifft. In der Praxis stellen wenig einsatzbereite Pflichtverteidiger allerdings eine Ausnahme dar. Jeder Strafverteidiger bemüht sich, seinen Klienten so gut wie möglich zu vertreten. Dies liegt unter anderem daran, dass jeder Anwalt auch einen Ruf zu verlieren hat.
Wer im Falle eines Strafverfahrens sichergehen und seinen Verteidiger selbst bestimmen will, sollte spätestens nach Aufforderung des Gerichtes einen Anwalt seiner Wahl benennen. Damit wird auch das von einigen Anwälten als problematisch angesehene Auswahlverfahren nach § 142 Abs. 1 StPO, das eine Befangenheit zwischen Gericht und Anwalt zur Folge haben kann, vermieden. Zu beachten ist weiterhin, dass ein späterer Austausch eines in der ersten Instanz bestimmten Pflichtverteidigers – zum Beispiel, weil der Mandant mit dessen Verfahrensweise nicht einverstanden ist – für Berufungs- und Revisionsverfahren nicht erlaubt ist.